Wie erzeugt ein Digital Leader virtuelle Nähe?! Dr. Marcus Hildebrandt im Interview (Teil 2)
“Always on my mind” - das ist das Motto von virtueller Nähe. Und sie muss aufrecht erhalten werden. Das klingt vielleicht etwas abstrakt, aber die gute Nachricht ist, dass virtuelle Nähe skalierbar ist. Die klare Tendenz ist hier, so viel wie möglich miteinander zu teilen - seien es der virtuelle Raum, Feedback oder Führungsaufgaben. Es gibt konkrete Ansatzpunkte und Hebel, die der Digital Leader beachten sollte, um dieses Gefühl der Nähe zu erzeugen. Welche das sind, erläutert Dr. Marcus Hildebrandt im Interview genauer.
Ein Artikel von Reik Wetzig, Haydee Lopez, Jana Richter und Steffen Smettan.
1. Purple Space: Der digitale Raum als Projektionsfläche der virtuellen Teamarbeit
Purple Space ist der gedachte Raum, in dem sich Teams in digitalen Kontexten bewegen. Hier findet ihre Kommunikation und der Austausch von Informationen statt. Er entsteht durch die Verhaltensweisen der Teammitglieder. Dieser Prozess vollzieht sich mitunter automatisch im Rahmen des Teeambuildings. Damit es in geordnenten Bahnen und vor allem in die richtige Richtung verläuft, sollte man ihn jedoch an einigen Stellen anleiten. Wichtig zu wissen ist, dass jedes Team seine eigene Interpretation des Purple Space hat. Auch wenn bestimmte Grundregeln identisch sein können, hat jedes Team Eigenheiten, die sich in der Ausgestaltung des Purple Space wiederfinden. Warum purple? Purple aka. Violett ist ein Mix aus verschiedenen Basisfarben, wie rot und blau. Diese Basisfarben repräsentieren verschiedene Kulturen, die sich in einer transkulturellen (violetten) Dimension einbetten.
Ein Digital Leader muss gewisse Rahmenbedingungen schaffen, damit Selbstorganisation, Shared Leadership und gute Kommunikation überhaupt möglich werden. Dazu gehört neben dem Purple Space auch das Voicing und die Bereitstellung einer technischen Infrastruktur. Klassische interkulturelle Ansätze sind immer schwerer umzusetzen, da die kulturelle Vielfalt in Unternehmen schlichtweg zu groß geworden ist. Somit wird der Purple Space zu einem wichtigen Instrument für virtuelle Teams.
2. Das Voicing: Sich in einer vernetzten Umgebung mitteilen. Regelmäßig und respektvoll!
Voicing bedeutet, dass alle Teammitglieder ihren Kollegen und Leadern respektvolles und regelmäßiges Feedback geben. Und das ohne Angst vor negativen Konsequenzen sondern in Form von konstruktiver Kritik. Voicing ist ein zentraler Unterstützungsprozess der Teambildung. Der Digital Leader muss eine globale Kultur aufbauen, sodass “alle Mitarbeiter [...] das Gefühl haben, dass es wichtig ist, dass sie Sachen ansprechen, die ihnen Schwierigkeiten bereiten.” Nur wenn dieses Gefühl etabliert ist, kann man einen Schritt weiter, in Richtung Purple Space, gehen. So schafft man es, “dass alle kulturell unterschiedlichen Sichtweisen auf den Tisch kommen und nicht einige Kulturdominanzen alles andere ausblenden”, so Dr. Hildebrandt. So wird aus dem Aufbau einer Voicing-Kultur eine Feedback-Kultur.
3. Shared Leadership: Vertrauen und loslassen können!
Ein Digital Leader “muss lernen einen Teil [seiner] Führungsaufgaben an die Gruppe abzugeben und die Gruppe muss lernen das anzunehmen.” Der wichtigste Grund dafür ist, dass die Führungskraft im globalen Kontext nie genau weiss, was wo und wann passiert. Deswegen ist das Aufbauen von Vertrauen, zusammen mit einer guten Feedbackkultur umso wichtiger. Nur so können alle Mitglieder Verantwortung für den Gesamterfolg übernehmen. In diesem Sinne muss ein Digital Leader frühstmöglich einsehen, dass klassische Führungsmodelle durch diese Prinzipien ergänzt werden müssen.
4. E-Culture: Technik als Mittel zum Zweck verstehen!
E-Culture bezeichnet die grundlegende Fähigkeit, sich virtuell zu vernetzen. Damit eine Gruppe erfolgreich virtuell zusammenarbeiten kann, ist natürlich eine grundlegende Medienkompetenz notwendig. Es gibt vier Dimensionen aus denen E-culture entsteht:
# 1 Globale Netiquette-Fähigkeiten
Gute Verhaltensweisen innerhalb der Gruppe sorgen dafür, dass jeder sich wohlfühlt und weiß, wie man miteinander umzugehen hat. Ein guter Ausgangspunkt für solche eine Netiquette können bereits bestehende Unternehmensrichtlinien sein, wie sie zum Beispiel die Webseite eEtiquette formuliert. In diesem Zusammenhang kann es sinnvoll sein, eine ganzheitliche Corporate E-Culture zu erstellen.
# 2 Medienkompetenz
Die Auswahl der richtigen Medien ist entscheidend. Eine Orientierungshilfe kann dabei das 3stacks Entscheidungsmodell liefern. Entsprechende Trainings für die eingesetzten Tools sollten Face-to-Face durchgeführt und mit Video-Tutorials ergänzt werden. Kick-Off für ein virtuelles Projekt sollte auch virtuell stattfinden, Face-to-Face-Treffen nur im Notfall. Eine einfache Frage, kann demnach einige Probleme bereits im Vorfeld beseitigen: “Welche Technologien nutze ich, nutze ich die Lieblingsmedien meiner Partner?”
# 3 Authentische Online-Identität
Inwiefern können Mitglieder eine Online-Identität entwickeln, die hilft, Beziehungen aufzubauen und zu managen? Auch diese Frage sollte reflektiert werden - wenn nötig helfen Trainings dabei, Wissenslücken zu schließen.
#4 Virtuelle Erfahrungen
Welche vergangenen Erfahrungen bringt ein Teammitglied für die virtuelle Arbeit mit? Die Erfahrungen der zukünftigen Kollegen sollten vorab ausgetauscht werden. Auf diese Weise können erste Verbindungen hergestellt werden und eine gemeinsame Basis für die zukünftige Zusammenarbeit entstehen.
5. Personal Branding & Online-Identität
Ein Digital Leader muss sich früher oder später mit der Problematik auseinandersetzen, ob Führungspräsenz, Authentizität und Charisma auch online vermittelt werden können oder weitestgehend auf der Strecke bleiben. Dabei ist es hilfreich sich die folgenden Fragen zu stellen:
Kann ich die Inhalte transportieren, die ich transportieren will? (Cognitive Presence)
Werde ich als Mensch wahrgenommen? (Social Presence)
Schaffe ich es, meine Führungsimpulse zu vermitteln? (Leadership Presence)
Diese Punkte sind bereits aus dem Umfeld des Personal Brandings bekannt. Mithilfe von Personal Branding schafft ein Leader es, sich von der Menge abzuheben. Dies erfolgt beispielsweise über persönliche Werte. Ein Leader, der dafür steht, spannende und erfolgreiche Projekte anzuleiten, fällt auf. Er steigert seine eigene Attraktivität und die des Unternehmens für welches er arbeitet. Im Sinne der Netzwerkeffekte schafft er es auf diesem Weg, Personen für sich und seine Ideen zu gewinnen. Im Kontext der digitalen Netzwerke könnten wir auch vom Generieren von Followern sprechen.
Wie diese Netzwerke genutzt werden können und welche Eigenschaften sie tragen, erfahrt ihr im nächsten Teil des Interviews mit Dr. Marcus Hildebrandt.
Dieser Artikel dokumentiert ein Ergebnis bzw. einen Lerninhalt des digital work Seminars.
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