Eine Beschäftigung mit den Chancen, Notwendigkeiten und möglichen Risiken der Digitalisierung unserer Bildung ist immer auch als Glaubensbekenntnis für unsere eigene Zukunft zu sehen. Dieser Artikel skizziert eine persönliche Momentaufnahme, wie das Thema mit einem Schwerpunkt auf den aktuellen Entwicklungen im Bereich der deutschen Hochschulbildungslandschaft betrachtet werden kann: Weg vom Glauben an effizientere Bildungswege hin zu einer realen vernetzten Form der individualisierten Bildung.
von Marcel Dux
Digitalisierung muss mehr als effiziente Bildungsinfrastruktur sein.
In vielen Gesprächsrunden wird das Thema der Digitalisierung: Lehre in erster Linie auf einen Ausbau von technologischen Infrastrukturen ausgerichtet. Dies erscheint mir etwas zu limitiert. Zwar benötigen wir für einen verstärkten Einsatz multimedialer Lehre eine Reihe technischer Verbesserungen, etwa beim flächendeckenden Ausbau von Funknetzen. Aber gerade bei dem Aspekt der Aus- und Weiterbildung menschlicher Persönlichkeiten sollten noch andere Faktoren berücksichtigt werden. So sieht Kerstin Mayrberger in der digitalen Lehre den größten Vorteil darin, den Grad der Zusammenarbeit und des Austauschs zu stärken. Dabei richtet sich der Austausch sowohl auf die Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden als auch auf die verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Studierenden.
Kernziele, wie den Ausbau des forschenden Lernens als kompetenzorientierte Ausbildungsform, werden so endlich didaktisch und technisch umsetzbar. Auch eine zunehmend eigenverantwortliche Gestaltung der Bildungshistorie erscheint sinnvoll, gilt der Ablauf Schulbildung, Ausbildung, Studium und Weiterbildung doch als überholt.
MOOCs hinterfragen und weiterentwickeln
Egal ob "Tele-Learning", "eLearning", "Flipped Classrooms" oder die Digitalisierung der Bildung. Jede intensiv propagierte technische Bildungsinnovation hat ihre Auslöser in gesellschaftlich prägenden Rahmenbedingungen und Technologien. In Deutschland sorgte 2014 das aus den USA stammende Konzept der MOOCs für eine erste Welle der Euphorie. Kostenlose Online-Kurse, initiiert u.a. durch Udacity oder Coursera schickten sich an, vor allem die amerikanische Bildungslandschaft zu demokratisieren. Auch in Deutschland entstanden, unterstützt durch öffentliche Ausschreibungen, stellenweise interessante frei zugängliche Online-Angebote. Ein gutes Beispiel ist der von Maria Schollerer und ihrem Team entwickelte Kurs "The Future of Storytelling". Dessen Überbleibsel sind nach der Insolvenz der deutschen MOOC-Plattform "iversity" noch auf Youtube zu finden.
Doch auch wenn die freien Bildungsangebote vor allem im europäischen Raum die Erwartungen nicht erfüllen konnten, so können neue technische Errungenschaften, wie zB. Peer-Feedbackverfahren, bot-basierte Interaktionspfade oder Learning-Analytics helfen, diese Form von Lehre weiter zu verbessern. Der Vize-Präsident für Lehre der TU Berlin, Prof. Dr. Hans-Ulrich Heiß, äußerte sich im Rahmen der diesjährigen GML mit dem Vorschlag, MOOCs in der Grundlagenausbildung klassischer Präsenzstudiengänge einbinden zu wollen.
Digitalisierung als Verkaufsargument verstehen und als Lehrinnovation hinterfragen
Der weltweite Bildungsmarkt gilt als extrem wachstumsstark und ist damit auch finanziell interessanter geworden. Die Forderung nach lebenslangem Lernen, der Ausgleich eines vermeintlichen Fachkräftemangels oder die latent geschürte Befürchtung den Anschluss an andere Länder zu verlieren, wirft in Deutschland die Frage auf, wer profitiert von einer verstärkten digitalisierten Bildung?
Es sollte bedacht werden, dass zum Beispiel das Hochschulforum Digitalisierung als Initiative des CHE, dem Zentrum für Hochschulentwicklung, zu großen Stücken von der Bertelsmann Stiftung finanziert wird. Diese wiederum unterhält laut brandeins Artikel "Kein Bock auf MOOC" gute Verbindungen zu Udacity. Dies ist nicht als wertende Aussage zu verstehen. Aber ungeachtet der sehr guten Arbeit des Forums, muss die Frage gestellt werden, wer vertritt bei diesem Thema welche Position mit welchen Absichten?
Welche Auswirkungen digitale Bildung haben kann und soll, wurde dieses Jahr u.a. bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung diskutiert. Der Einsatz digitaler Bildungstechnologien gilt allgemein als vielversprechend, der Nutzen als „umstritten“. Michael Kerres, einer der führenden deutschen Bildungswissenschaftler, weißt zum Beispiel darauf hin, dass es bisher nur eine beweisbare Aussage zum Einsatz von Videos in der Lehre gibt: Das deren Anhalten und Vorspulen das individuelle Lerntempo unterstützt. Die allgemeine Aussage, dass junge Menschen heutzutage lieber mit Videos lernen als mit anderen Medien, ist wissenschaftlich aktuell nicht haltbar.
Von der Kultur zur Technik denken.
Ich vertrete die Auffassung, dass digitale Lehr- und Lerntechnologien eine Erweiterung der eigenen Methoden darstellen. Wer mit Hilfe von prüfungsunabhängigen Selbstlerntests Wissensdefizite von Studierenden aufdecken und gezielt beheben kann, oder kurze Videos zur Vermittlung von Grundlagenwissen einsetzt, erleichtert sich den eigenen Arbeitsalltag und flexibilisiert das Lernen seiner Studierenden.
Welche Faktoren das Lernen positiv beeinflussen können, egal ob mit Hilfe digitaler Angebote oder klassischer Präsenzmethoden, stellt das Bayerische Zentrum für Hochschuldidaktik als Ableitung der 2013 erschienenen Meta-Studie "Visible Learning" von John Hattie vor. Eine der Faktoren, die Klarheit der Lehrpersonen, erscheint mir für besonders wichtig. In einem Spiegelartikel zur zunehmenden Veränderung der Arbeitswelt (Spiegel-Artikel, 05.04.2015) heißt es: Wir müssen Wege finden, uns in Zukunft auch mal der Effizienz des eigenen Handelns zu entziehen. Ein schöner Gedanke, denn aus Ideen können so mit etwas Langeweile und einer Brise Geduld, klare Köpfe entstehen.
Dieser Artikel fasst die Inhalte des am 18.09.2017 durchgeführten Impulsreferats „Digitalisierung der Lehre“ im Rahmen der eLearning Tage an der HTW Berlin zusammen.
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